Panta rhei – alles ist im Fluss


    Kolumne von Johanes Jenny


    (Bilder: zVg)

    Als Biologe liebe ich den Garten meiner Kindheit, in dem ich heute – privilegierterweise – wieder leben darf. Ich geniesse und liebe den teils uralten Baumbestand am Ländliweg in Baden und wünschte mir, die Bäume könnten mir aus ihrem langen Leben erzählen. Das Gebäude des Kindermuseums oberhalb wurde einst vom deutschstämmigen Fritz Funk bewohnt, von dem man munkelt, dass er durch seine guten Beziehungen die damalige BBC über den Weltkrieg gerettet habe. In seinem Auftrag muss die heute majestätische Eiche einst gepflanzt worden sein, die erzählen könnte, wie es wirklich war. Das «Lauben» vor 50 Jahren war eine alljährliche Pflicht und ein Vergnügen für uns Kinder, welche die nicht enden wollenden Massen von Eichenlaub im Herbst in Körbe stampften und dem Kompost zuführten. Der Hagel vor zwei Jahren setzte dem ehrwürdigen – mittlerweile längst städtisch geschützten – Baum ebenso zu, wie der Sturm im Februar 2020. Im letzten März fiel ein baumdicker Ast der Eiche aufs Dach. Meinen Dachschaden bezahlte zum Glück die Versicherung. Die Eiche wird durch Spezialisten überwacht und stabilisiert sich hoffentlich dank dem aktuell nassen Wetter. Sie wird fachmännisch kontrolliert und gepflegt und hat damit Glück.

    Eine 150-jährige Eiche im Gönhardquartier in Aarau wurde trotz Protesten aus der Nachbarschaft am 3. Februar gefällt. Kenne weder Beweg- noch Hintergründe und will nicht urteilen. Was wir uns jedoch bewusst sein sollten: Ein 150-jähriger Baum ist bezüglich CO2 Bilanz und Lebensraum erst nach 150 Jahren ersetzt. Angesichts des Klimawandels sollten wir es uns zweimal überlegen, ob wir alte Bäume wirklich fällen sollten. Bäume, die über Jahrzehnte CO2 gespeichert haben, das lokale Klima zuverlässig kühlen und – sofern sie einheimisch sind – hunderten von Pilzen, Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten.

    Die majestätische Eibe am 6. Januar

    Von den Bäumen im Garten hat es mir aber auch eine alte Eibe ganz besonders angetan. Um den letzten Jahreswechsel herum fragte ich mich, wie es dem Baum, welcher schon die Blütezeit der Badener Bäder um die vorletzte Jahrhundertwende gesehen hatte, wohl in weiteren 100 Jahren gehen würde. Als ich am Dreikönigstag, das letzte Foto dieses Methusalem schoss, ahnte ich nicht, dass ich es bald wissen würde. Der Schnee hat die Eibe 10 Tage später umgeworfen. Die Wucht, mit der er auf den Uferweg prallte, hat den Baum geköpft, den Wipfel buchstäblich in den Fluss, die Limmat geworfen, die ihn mit sich riss – Panta rhei – alles ist im Fluss – und doch nicht ganz alles. Drechsler werden den Stamm zu Knöpfen für die Registerzüge historischer Orgeln verwandeln. Und geht es so weiter wie in den letzten Jahrhunderten, sind Orgeln ein Teil unserer Kultur, die der Vergänglichkeit eine Weile trotzen. Ein schöner Trost für den deutlichen Hinweis, dass alles vergänglich ist, auch liebgewordene uralte Bäume.


    ZUR PERSON: Dr. sc. nat. Johannes Jenny ist Menschen-, Tier- und Pflanzenliebhaber. Er war 24 Jahre lang Geschäftsführer von Pro Natura Aargau und investiert seine «Restlaufzeit» für die Natur, das Klima und vor allem für den Wald und Feuchtgebiete in der Schweiz und in Argentinien.
    johannes.jenny@bluewin.ch

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